Am 30.6.2016 habe ich beim Sommerempfang der FDP-Regionalfraktion in Sindelfingen nachfolgende Rede gehalten:
Bei ihrem Sommerempfang will die FDP Regionalfraktion traditionell tiefer bohren und grundsätzlicher fragen als es häufig in der Tagespolitik geschieht: „Ethik in der Regionalpolitik“ und „Auf- und Abstieg von Regionen – gibt es Muster?“ waren die Themen der bisherigen Sommerempfänge. Heute geht es um das Thema Wettbewerb. Wir hören gleich den Wirtschaftsethiker Prof. Christoph Lütge zum Thema „Kann den Siegen Sünde sein? Über Konkurrenz und Moral“ und den Wirtschafsförderer der Region Stuttgart Dr. Walter Rogg mit Ausführungen zu „Andere abhängen oder mitnehmen? Zum Wettbewerb der Regionen“. Mein kleiner Einstiegsbeitrag mit Blick auf die Region Stuttgart lautet: „Championsleague oder Kreisklasse? Die Region als Spieler und Schiedsrichter“. Die Fußballmetapher passt ja in diese Tage und sowieso habe ich den Eindruck, dass der Sport fast das einzige gesellschaftliche Feld ist, bei dem der Wettbewerbsbegriff in der Bevölkerung durchgehend positiv besetzt ist. Also schauen wir mit dieser Metapher einmal auf die Region Stuttgart: Als Spieler stehen wir gut da. Das hat der Prognos Zukunftsatlas 2016 Ende Mai erst wieder gezeigt. Im Ranking der 402 Landkreise in Deutschland bezüglich Zukunftsfähigkeit rangieren alle sechs Kreise der Region Stuttgart auf den vorderen Plätzen und haben sich im Vergleich zum Atlas von 2013 alle im Wettbewerb der Kreise verbessert. Spitzenreiter ist der hiesige Landkreis Böblingen, der von Platz 5 auf Platz 4 in Deutschland aufgestiegen ist. Stuttgart liegt auf Platz 7, Ludwigsburg auf 12, Esslingen auf 22 und auch die beiden Landkreise der Region mit strukturschwachen Gebieten haben gewaltige Sprünge nach vorne gemacht: Der Rems-Murr-Kreis verbesserte sich von Platz 120 auf 78 und Göppingen von 137 auf 117. Auf ein solches Wettbewerbsergebnis sind wir stolz. Wir spielen in der Championsleague der Kreise, ärgern uns nur ein bisschen, dass München in der Königsklasse vor uns liegt und immer gewinnt – jetzt hinkt der Fußballvergleich. Aber das ist ja ein positiver Stachel. Als Spieler können wir also zufrieden sein.
Nun wechseln wir einmal das Bild und stellen uns die Region nicht als Spieler, sondern als Schiedsrichter vor. Hier sieht es mit dem Wettbewerb nicht mehr so rosig aus: Bekanntlich greift die Region erheblich in den Wettbewerb der Städte und Gemeinden um Einwohner ein, indem sie Kommunen an S-Bahn- und Entwicklungsachsen zu Lasten kleinerer Kommunen im ländlichen Raum privilegiert. Nach Meinung der Region führt ein unregulierter Markt hier zu Zersiedelung und einem Zuviel an Individualverkehr. Als FDP Fraktion haben wir in den letzten Jahren mehrfach Initiativen zu mehr marktlichen Instrumenten in der Raumplanung eingebracht und immerhin erreicht, dass der Verband sich mit handelbaren Flächenzertifikaten beschäftigt hat. An diesem Projekt werden wir dranbleiben.
Ganz erheblich greift der hiesige Regionalplan auch in den Wettbewerb des Einzelhandels ein. Seit 2009 schwebt ein Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission über der Region Stuttgart, da der Regionalplan den freien Wettbewerb im Einzelhandel untergrabe. Im Zentrum der Kritik steht die Steuerung der Ansiedlung des großflächigen Einzelhandels. Die Restriktionen, die der Regionalplan vorsieht, sind streng. Großbetriebe mit sogenanntem zentrenrelevanten Sortiment sind auch nur in Zentren zugelassen (sog. integrierte Standorte) – und nicht etwa auf der grünen Wiese. Die EU-Kommission sieht in den strikten Vorgaben unseres Regionalplans eine Benachteiligung des großflächigen Einzelhandels. Zwar sei es den Kommunen grundsätzlich erlaubt, die Ansiedlung zu steuern – europarechtlich zulässig seien dabei jedoch nur städtebauliche Kriterien. In der Region Stuttgart würden die Möglichkeiten des Planungsrechts missbraucht, indem nach wirtschaftlichen Parametern beurteilt werde, ob sich ein Betrieb ansiedeln dürfe. Dies sei Protektionismus zugunsten des Einzelhandels in den Zentren, so der Vorwurf der Wettbewerbshüter der EU. Nicht umsonst sind wir als FDP Regionalfraktion mit unserem Sommerempfang dieses Jahr beim Thema Wettbewerb nach Sindelfingen gegangen. Denn genau hier tobt ja der Streit um diese Frage. Das Breuningerland kämpft um eine Erweiterung um knapp 10.000 qm Verkaufsfläche an seinem Standort außerhalb der City-Lage, um gegen das neue 2014 eröffnete Milaneo in Stuttgart konkurrenzfähig zu sein. Das Milaneo ist mit Abstand das größte Einkaufszentrum in Baden-Württemberg mit einem gewaltigen Kaufkraftsog. Das Breuningerland hat die Idee der amerikanischen Einkaufsmall 1973 und 1980 in die Region Stuttgart gebracht. 1973 wurde das Einkaufszentrum in Ludwigsburg, 1980 in Sindelfingen eröffnet. Das war vor dem ersten Regionalplan des Verbandes der Region Stuttgart, der Mitte der 90er Jahre erstellt wurde. Darf der Verband das Breuningerland im Wettbewerb beschränken? Die Stadt Sindelfingen sagt „Nein“, die FDP Regionalfraktion sagt als einzige Fraktion in der Regionalversammlung „Nein“. Die Nachbarkommune Böblingen sagt „Ja“ und arbeitet heftig gegen Sindelfingen, weil in Böblingen die Shoppingmall Mercaden neu eröffnet wurde und man Konkurrenz in nächster Nähe verhindern will. Seit Dezember 2012 wird die Auseinandersetzung erbittert geführt und wird jetzt vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim landen. Jedes Mal, wenn ich mich im Planungsausschuss der Region zu diesem Thema äußere, gehen Lobeshymnen aus Sindelfingen und Schmähungen aus Böblingen bei mir ein. Mein Ex-Regionalratskollege Andreas Knapp aus Sindelfingen meinte einmal zu mir, ich würde eines Tages noch in einer Sänfte durch Sindelfingen zur Steinigung nach Böblingen getragen.
Ich möchte hier nur kurz auf unser Wettbewerbsargument hinweisen: Selbst wenn man die regionalplanerischen Regelungen zum Einzelhandel als Rahmenordnung für den Wettbewerb akzeptieren würde, stellt sich die Frage der Rechtssicherheit und des Bestandsschutzes für Einzelhändler, die vor diesen Regelungen mit hohem Risiko und großen Investitionen an den Start gegangen sind. Wir fordern von der FDP Regionalfraktion nicht mehr und nicht weniger als die Anwendung einer Regelung auf den Einzelhandel, die die Region Stuttgart selbst bei baulichen Anlagen im Freiraum praktiziert. Wie Sie vielleicht wissen, sind die Freiflächen zwischen den Siedlungsbereichen in der Region Stuttgart als sogenannte Grünzüge besonders geschützt. Hier sind nur landwirtschaftliche Betriebe privilegiert, ansonsten dürfen keine Bauten errichtet werden. Letztes Jahr musste ja bei der Errichtung von Windkraftanlagen im Freiraum ganz schön getrickst werden und die Region definierte die Aufstellungsgebiete als „Vorranggebiete“, sozusagen „Löcher im Grünzug“. Kommunen konnten keine Windkraftgebiete im Grünzug aufgrund der besonderen Rechtslage in der Region ausweisen. Einzige Ausnahme von den strengen Regelungen sind bauliche Anlagen im Grünzug, die sich dort schon vor der Überplanung der Freifläche mit dieser Kategorie befanden. Hier gilt im Regionalplan die Regel: „Eine Erweiterung ist im Rahmen der bisherigen baulichen Ausprägung möglich.“ Das praktiziert die Region bei ihren Genehmigungen auch sehr großzügig, wie man erst jüngst in Winterbach-Engelberg beobachten konnte. Dort wird aus einem Dutzend nicht mehr genutzter Lehrerwohnungen einer Waldorfschule am Wald abseits einer Siedlung nun ein modernes kleines Wohngebiet, mindestens mit einer Verdoppelung der Wohneinheiten. Die Erweiterung der bisherigen baulichen Ausprägung wird mit einer 100-Prozent-Steigerung sehr locker ausgelegt. Nur einen Bruchteil einer solchen Regelung fordern wir als FDP Regionalfraktion für den Einzelhandel in der Region: Nämlich dem Breuningerland eine „Erweiterung im Rahmen der bisherigen Ausprägung“ zuzugestehen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Der Einzelhandel hat mindestens dasselbe Recht auf Bestandsschutz und Rechtssicherheit wie eine bauliche Anlage im Grünzug. Breuninger will von 32.000 auf 42.000 qm erweitern. Hier geht es also um eine Erweiterung um ein Drittel.
Die Verwaltung und die anderen Fraktionen argumentieren gegen uns, dass so eine Regelung nicht mit der Landesplanung vereinbar sei, denn im Landesentwicklungsplan fände sich das Integrationsgebot (großflächiger Einzelhandel nur in Citylagen) auch. Unsere Antwort: Erstens stellt sich da das Problem der Rechtssicherheit und des Bestandsschutzes genauso, denn der Landesentwicklungsplan stammt aus dem Jahr 2002, wurde also genauso wie der Regionalplan erst nach der Investition in das Breuningerland erlassen. Und zweitens haben drei von 12 Regionalplänen in Baden-Württemberg bezüglich des großflächigen Einzelhandels genau diese von uns auch für Stuttgart geforderte Regelung. So enthält zum Beispiel die „Teilfortschreibung Einzelhandelsgroßprojekte“ des Regionalplans Südlicher Oberrhein von 2011 ausdrücklich die Formulierung „bestandsorientierte Erweiterung“ für solche Fälle. Die Rechtmäßigkeit dieser Regionalpläne wurde bisher nicht in Frage gestellt. Man kann das also so machen. Wir fordern also nur das, was in anderen Regionen Baden-Württembergs als Rahmenordnung für den Wettbewerb gilt. Deshalb sagen wir: Als Schiedsrichter ist unsere Region nur Kreisklasse, als Spieler aber zweifelsohne Championsleague.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Jetzt freue ich mich auf Prof. Dr. Christoph Lütge, Verfasser des schönes Buches „Ethik des Wettbewerbs. Über Konkurrenz und Moral“.
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