Am 6. März 2013 habe ich in der Regionalversammlung zu regenerativen Energien in der Region gesprochen:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wenn bei einem Projekt über die Schuldfrage gestritten wird, ist das immer ein Alarmzeichen. Schuldzuweisungen sind ein Frühwarnsignal für eine heraufziehende Projektkrise. Karikierend teilt man Projektarbeit in sechs Phasen ein: 1. Begeisterung, 2. Ernüchterung, 3. Panik, 4. Suche nach dem Schuldigen, 5. Bestrafung eines Unschuldigen, 6. Auszeichnung eines Unbeteiligten.

Schaut man auf die Entwicklung in den letzten Wochen und die heutigen Reden, so sind wir beim Projekt „Erneuerbare Energien in der Region Stuttgart“ offensichtlich in Phase 4 „Suche nach dem Schuldigen“ angekommen. Die Vertreter von Grün-Rot attackieren die Landratsämter und sehen dort Blockierer sitzen, während die Landtagsopposition und die Freien Wähler die Landesregierung angreifen, weil diese noch keine einheitliche Handreichung zum Thema Natur- und Landschaftsschutz vorgelegt hat. Die Spezialität des heutigen Tages ist, dass der Vorredner der SPD-Fraktion den Schuldigen im grünen Teil der Landesregierung ausgemacht hat. Die Kräfte werden offensichtlich nicht zur Lösung der Sachfragen, sondern zur Identifizierung des Sündenbocks eingesetzt.

Meine Damen und Herren, hierfür haben wir keine Zeit. Wir brauchen Lösungen, keine Probleme mit politischen Rechthabern. Der Beschluss zur Energiewende ist im Juni 2011 parteiübergreifend gefasst worden. Heute – nachdem wir nun die „Mühen der Ebene“ beim Aufbau einer regenerativen Energieversorgung kennen, erscheint uns der damalige Beschluss bezüglich Zeitplan und Umsetzung reichlich naiv. Aber was soll’s? Er ist gefasst worden und wir stehen heute vor drei ganz einfachen Fragen: Kriegen wir die Energiewende hin oder decken wir unseren Strombedarf aus unsicheren ausländischen Tschernobyl-Reaktoren oder müssen wir unsere inländischen Kernreaktoren wieder anschalten? Wer zu 2 und 3 nein sagt, der sollte seine Energie nicht auf „Haltet den Dieb“-Spielchen konzentrieren, sondern an der konkreten Umsetzung der Energiewende vor Ort arbeiten.

Beim zentralen Unterprojekt „Windkraft in der Region“ zeichnet sich ab, dass vor allem Natur- und Landschaftsschutz aber auch Wetterradar dazu führen, dass zahlreiche im Entwurf ausgewiesene Vorranggebiete fallen werden. Die völlige Tabuisierung der Landschaftsschutzgebiete für Windkraftanlagen lehnt die FDP ab. Damit könnte der Regionalplan zwar schnell verabschiedet werden, die windhöffigsten Standorte in der Region fielen aber auf einen Schlag weg. Es führt kein Weg an einer zeitintensiven Einzelfallprüfung vorbei. Wir werden hier also noch Zeit brauchen und die Ausbeute an Standorten wird deutlich geringer sein, als im letzten Sommer erwartet. Ganz zu schweigen von der Energie, die dann auf den mühsam gefundenen Flächen produziert wird. Aufgrund der doch geringen Windhöffigkeit in der Region kann man vielleicht nur mit 20 Prozent der installierten Leistung rechnen!

Auch der Bürgerprotest wird noch manche Anlage kippen. Und da sollte man im Einzelfall schon sehr genau hinhören: Wer Anlagen im Minimalabstand von 700 Metern zu großen Wohngebieten errichten will, braucht sich über Massenprotest nicht zu wundern. Dass in anderen Bundesländern Abstände von 1000 oder 1500 Metern gelten beziehungsweise gefordert werden, sollte ein Hinweis darauf sein, es hier nicht zu weit zu treiben.

Wenn ein Unternehmen mit einem zentralen Produkt auf dem Markt Schwierigkeiten bekommt und die Zukunft unkalkulierbar wird, lautet die klassische Unternehmensstrategie: Diversifizierung. Diversifizierung heißt auch der Weg, den wir in der Region beschreiten müssen. Neben Windenergie müssen wir uns verstärkt auch anderen Formen der regenerativen Energiegewinnung zuwenden. Die Aufgaben in der Region lauten daher: Biogasanlagen, kleine Wasserkraftanlagen, großflächige Photovoltaikanlagen, Energiewälder und vielleicht ganz neue technische Möglichkeiten, die uns die nächsten Monate bringen werden, zu fördern und zu nutzen.

Unsere Aufgabe muss aber auch sein, ein scharfes Auge auf die Versorgungssicherheit zu werfen, denn unser Wirtschaftsraum hat einen hohen spezifischen Energiebedarf, wie es mit Recht in der Verwaltungsvorlage heißt. Daher haben wir heute auch einen Antrag zum Netzentwicklungsplan vorgelegt, der interessante Informationen zum Netzverstärkungsbedarf in der Region liefert und dessen Daten zum Strombedarf in der Region wichtig sind.

Zur kleinen Wasserkraft hat die FDP Fraktion in den letzten Wochen zwei Anträge eingebracht. Wir bedanken uns bei der Verwaltung, die jetzt hierzu mit der WRS eine Veranstaltung organisieren möchte. Einig sind wir uns mit der Verwaltung aber trotzdem nicht, da sie die kleine Wasserkraft „unterhalb der Schwelle der Raumbedeutsamkeit“ einordnet und die Formulierungen unseres Regionalplans lediglich als Ermöglichung von kleiner Wasserkraft im Grünzug interpretiert.

Der Grundsatz zur kleinen Wasserkraft in unserem Regionalplan lautet aber: „Kleinere Wasserkraftanlagen sind ebenfalls unter Berücksichtigung der jeweiligen Gewässerökologie auszubauen“ (4.2.1.2.2 (2) Satz 2, S.280). „Auszubauen“ steht da, nicht „zu ermöglichen“. Deshalb sind wir sehr wohl der Meinung, dass gerade unter dem Gesichtspunkt der neuesten technischen Entwicklungen hier die Region gefragt ist.

Auch beim Thema großflächige Photovoltaikanlagen sind wir mit der Region nicht ganz einig. Bereits 2005 hat unsere Fraktion den ersten Antrag zur Flächenerschließung für solche Anlagen in der Region eingebracht. Immer noch sind wir auf Deponieflächen und jetzt erstmals erste Flächen entlang Autobahnen beschränkt. Überall in Deutschland finden wir Großanlagen in der Fläche, nur nicht in der Region Stuttgart. Es ist an der Zeit, dazu unseren Regionalplan zu überprüfen. Dort finden sich Beispiele, wo der Grünzug wegen potenzieller Erweiterungen, die aber schon längst ad acta gelegt wurden, nicht bis an die Grenze von Gewerbegebieten gezogen wurde. Warum nicht diese Flächen für Photovoltaik nutzen?

Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zur Biogasanlage in Nürtingen ist die FDP-Fraktion sehr zufrieden. 7 von 8 Mitgliedern unserer Fraktion haben gegen die Klage gestimmt. Wir halten es für falsch, gerade nach der Energiewende die Grünzüge zu tabuisieren. Hier müssen Abwägungsentscheidungen gerade auch bei industriellen Biogasanlagen möglich sein. Wir fanden es auch falsch, eine in Sachen Energiewende innovative und aktive Kommune von ihrer Markung weg in die Region zu zwingen. Genau diese beiden Punkte hat das Urteil bestätigt: Die Bedeutung der Energiewende für Abwägungsentscheidungen und die kommunale Hoheit. Wir werden daher für den Verwaltungsvorschlag votieren, das Urteil anzuerkennen, tun das aber keinesfalls schweren Herzens, wie Teile der Versammlung. Von uns werden Sie keine Gerichtsschelte hören.

Übrigens: In der Studie der Region zur Agro-Energieerzeugung vom Juni 2010 wird noch davon ausgegangen, dass bis 2020 nur 1,7 % unseres Energiebedarfs aus nachwachsenden Rohstoffen und Reststoffen stammen wird. Das Nürtinger Beispiel zeigt, wie schnell sich hier die Einschätzungen ändern können, denn die industrielle Verwertung von Speiseresten in der Region hatte vor zweieinhalb Jahren noch niemand im Focus.

Was lernen wir daraus? Nürtingen ist es im speziellen Fall erspart geblieben, für die Phase 5 einer scheiternden Projektarbeit „Bestrafung eines Unschuldigen“ herhalten zu müssen. Die FDP wünscht sich für alle unsere Energiewendeaktivitäten, dass uns dies und die Phase 6, die „Auszeichnung eines Unbeteiligten“ in Form der Einsetzung eines Schlichters zur Energiewende, weil wir es nicht gebacken kriegen, erspart bleibt. Aber das liegt an uns, der Versammlung und der Verbandsverwaltung.

Meine Damen und Herren, Brecht sprach von den „Mühen der Ebene“ und meinte die Detailarbeit nach dem Systemwechsel 1945. Auch die Energiewende ist ein Systemwechsel, lassen Sie uns die „Mühen der Ebene“ gemeinsam auf uns nehmen. Wir klopfen uns doch gerne als Innovationsregion auf die Schultern. Also her mit den Innovationen – zu Wasser, zu Lande und in der Luft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Energiewende in der Region – Suche nach dem Schuldigen

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