Interview mit Dr. Wolfgang Allehoff (Liberale Senioren Stuttgart, Newsletter April 2012, S.4f))
Wolfgang Allehoff:
Herr Buschmann, der Deutsche Bundestag hat nach Fukushima den beschlossenen Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung durch Gesetz „beschleunigt“ und auf den 31. Dezember 2022 vorgezogen. Zentraler Baustein für die Energieversorgung der Zukunft sollen die „Erneuerbaren Energien“ sein. Was bedeutet das für Baden Württemberg und die Region Stuttgart?
Kai Buschmann:
Einen riesigen Kraftakt, schließlich liegt der Anteil der Stromerzeugung aus Kernkraft in Baden-Württemberg mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Die Ausstiegsziele sind formuliert, der Weg dorthin ist aber für unser Bundesland besonders schwierig und fordert Höchsteinsatz.
Wolfgang Allehoff:
Sonne, Wind, Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie stehen uns in Deutschland als Energielieferanten in ausreichendem Umfang zur Verfügung allerdings sehr unterschiedlich auf die Bundesländer verteilt. Die Energiewende kann zwar in Berlin beschlossen werden, umgesetzt werden muss sie in den Ländern, und da vor allem im ländlichen Raum. Hierzu bedarf es vor allem gesellschaftlicher Akzeptanz. Wie kann diese Ihrer Ansicht nach erreicht werden?
Kai Buschmann:
Wir müssen die Energiefrage stetig in der öffentlichen Diskussion halten. Alle Umfragen weisen darauf hin, dass in der Bevölkerung das Bewusstsein von einer drohenden Energieverknappung schon wieder verloren geht. Auf allen Ebenen muss Aufklärungsarbeit geleistet werden und alle politischen Ebenen müssen die Energiefrage als Kernaufgabe begreifen. Vor Ort ist es wichtig, die Bürgerschaft in die Erzeugung regenerativer Energien einzubinden. Dass das neue riesige Windrad in Ingersheim im Kreis Ludwigsburg von einer Bürgergenossenschaft betrieben wird, ist ein wunderbares Zeichen. Hier hat unser FDP-Bürgermeister Volker Godel hervorragende Arbeit in Sachen Energiewende vor Ort geleistet.
Wolfgang Allehoff:
Um das Ziel zu erreichen, dass 2050 etwa 4/5 aus Erneuerbaren Energien kommen sollen, wird für das Jahr 2020 mindestens ein Drittel geplant. Im Bundesland Hessen arbeitet man in den Regionalversammlungen an Konzepten, wie das erreicht werden kann. Wo stehen wir denn in Baden Württemberg? Liegt ein „Masterplan“ oder ein Gesamtkonzept vor?
Kai Buschmann:
Leider gibt es keinen Masterplan. Entsprechen der dezentralen Struktur unseres Bundeslandes hat die Landesregierung den Ausbau der Windenergie – und darum geht es schwerpunktmäßig in Baden-Württemberg – nun in die Hand der Kommunen gegeben. Die alten Vorranggebiete der Regionalverbände werden aufgehoben. Als „Graswurzelliberale“ kann uns dieser Ansatz ja sympathisch sein – allerdings müssen die Kommunen dann auch „in die Puschen“ kommen. Dezentrales Vorgehen verlangsamt zunächst natürlich den Prozess.
Wolfgang Allehoff:
Sie haben im Regionalverband einen Antrag eingebracht, ein für alle zugängliches Informations- und Monitoring-Portal im Internet einzuführen. Dieses „Energieportal“ soll neben der Dokumentation des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auch eine herausragende Rolle für die Energieeinsparung und die Förderung der Energieeffizienz spielen. Wie haben sie sich das vorgestellt?
Kai Buschmann:
Im Moment weiß niemand genau, wie viel Photovoltaikanlagen oder Biogasanlagen in den einzelnen Landkreisen betrieben werden und wie viel Strom sie erzeugen. Einen Überblick, welche Kommunen sich schon auf den Weg gemacht haben, in den Flächennutzungsplänen Sondergebiete für Windräder auszuweisen, gibt es auch nicht. Ein Energieportal kann das stets aktuell transparent machen und auch die Potenziale der einzelnen Energieträger regional deutlich machen. Über einen Online-Rechner können bis auf die Ebene der Städte und Gemeinden die technischen Potenziale der einzelnen Energieformen eingesehen und ein eigener Energiemix berechnet werden. Dieses Portal sollte Grundinformationen zu Erneuerbaren Energien, Informationen zum Ausbaustand der Erneuerbaren Energien und deren Beitrag zur Versorgungssicherheit, Hinweise zur Planung und Realisierung von Energieprojekten, Kooperations- und Finanzierungsmodelle und viele weitere nützliche Informationen enthalten.
Wolfgang Allehoff:
Sehen Sie in der Region Stuttgart bei den erneuerbaren Energien noch regionale Besonderheiten?
Kai Buschmann:
Der Baden-Württembergische Windatlas zeigt, dass die großen windhöffigen Gebiete im Osten der Region, also in den Landkreisen Göppingen, Esslingen und Rems-Murr liegen. Hier wird sicherlich ein Schwerpunkt der Energiegewinnung aus Windkraft mit Windparks sein. Im Westen der Region kommen wir bei Biogas doch rascher an eine Grenze als ursprünglich gedacht wurde: Wegen der besonders guten Böden dort liegt der Schwerpunkt der Landwirtschaft auf Feldfrüchten und weniger auf Großviehhaltung. Biogasanlagen können daher nur begrenzt mit Gülle und Mist betrieben werden. Es läuft dort stark auf den Betrieb über Energiepflanzen, insbesondere Mais hinaus. Die „Vermaisung“ der Landschaft ist nun schon ein kritisch diskutiertes Thema. Unterentwickelt ist noch die Nutzung von Energiewäldern zur Agro-Energieerzeugung. Die FDP-Fraktion in der Regionalversammlung hat daher 2011 einen Antrag in die Regionalversammlung eingebracht, hier die Potenziale zu untersuchen und diese Variante bekannt zu machen. Inzwischen sind schon drei ehemalige Deponien mit Energiewäldern bepflanzt, die in ein paar Jahren abgeerntet werden können.
Wolfgang Allehoff:
Wo sehen Sie die größten Konflikte auf der regionalen Ebene beim Ausbau der Erneuerbaren Energien?
Kai Buschmann:
Ganz klar gibt es einen Interessenkonflikt zwischen Landschaftsschutz und den Erneuerbaren Energien. Hier muss ein Mittelweg begangen werden. Es kann nicht sein, dass im Zeichen der Energiewende der Landschaftsschutz plötzlich keine Rolle mehr spielt, umgekehrt kann ein regionaler Grünzug nicht per se die Aufstellung eines Windrades verhindern. Die heftigen Diskussionen um die große Biogasanlage in Nürtingen, wo die Vergärung von Speiseresten aus ganz Baden-Württemberg angestrebt wird, zeigen die Probleme ganz deutlich auf. Die Nachbarkommune Großbettlingen will keine Großbiogasanlage an ihre Gemarkungsgrenze stehen haben, die Anwohner in Nürtingen wollen einen potenziellen „Stinker“ auch nicht in der Nachbarschaft und die Region sieht durch den Standort im Grünzug den Landschaftsschutz gefährdet. Hier wurden jetzt durch Begrünung und Absenkung der geplanten Anlage Varianten entwickelt, die Einsprüche berücksichtigen. Ich hoffe, wir können die drohende Situation, dass jeder erneuerbare Energieerzeugung grundsätzlich gut findet, sie aber bekämpft, wenn sie vor der eigenen Haustür eingerichtet wird, überwinden. Hier ist noch mancher Bewusstseinswandel nötig. Das ist ein langwieriger Prozess, das Zeitfenster für die Energiewende ist aber klein. Wir stehen vor einem großen Kraftakt.
Der Nachhaltigkeitsbeirat nimmt die Landesregierung unter Beschuss: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.ausbau-der-windkraft-man-wird-das-land-nicht-wiedererkennen.7418a159-8d97-4973-9f0b-e68fd8b69b0f.html .
so ganz nachvollziehen kann ich die Kritik des Nachhaltigkeitsbeirates nach Lektüre des neuen Windenergieerlasses der Landesregierung nicht: Umfangreichste Einschränkungen zur Errichtung von Windrädern. Hätte die alte Landesregierung diesen Text herausgegeben, die Grünen hätten ihn als „Verhinderungsplanung“ gegeißelt. Der Text zeigt wieder: Wenn die Energiewende vor Ort konkret wird, wird es schwierig. Gut, dass das Ingersheimer Windrad schon steht! Wenn es am 1.1.2013 umfiele, dürfte es nicht mehr aufgestellt werden. Das alte Vorranggebiet ist dann weggefallen und der Standort im Grünzug ist dann tabu.