Am 279.2017 habe ich nachfolgende Rede in der Regionalversammlung gehalten:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Lage ist offensichtlich ernst, Herr Dr. Rogg malt im Vorfeld des heutigen Tages ein tiefschwarzes „Neues Detroit“ namens Stuttgart an die Wand. Der Boom, so die Botschaft, kann leicht gegen die Wand fahren, wenn wir das Gewerbeflächendilemma nicht in den Griff bekommen. Das Dilemma ist definiert: Wo früher Gewerbe herzlich willkommen war, weil es die kommunale Gewerbesteuerkasse füllte, hat die Bevölkerung heute lieber Wald, Wiesen, Ackerbau und Erholungsflächen. Gleichzeitig sägt sie damit aber an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Wirtschaft oder Landwirtschaft bzw. Landschaftsschutz ist eine gefährliche Alternative.
Schwarz malen ist nicht die Sache der FDP. Und in der Beschreibung des Dilemmas steckt auch seine Lösung. Die Vorlage der Verwaltung benennt wichtige Ansatzpunkte, wenn sie ein Gewerbeflächenmanagement fordert. Flächenmonitoring zum Beispiel kann folgendes leisten:
- Marktbeobachtung
- Detaillierter Überblick über Angebot und Nachfrage, Zeitreihenanalysen, Berichterstattung und Entscheidungsvorbereitung
- Ansiedlungswerbung
- Erstauskunft und -information interessierter Unternehmen
- Regionales Marketing
- Wirtschaftsförderer erhalten ein neues Instrument für ihre Werbung und Bestandspflege
- Kommunale und regionale Planung
- Hilfestellung bei der Ermittlung des zukünftigen Gewerbeflächenbedarfs
Ich zitiere gerade nicht aus den heutigen Sitzungsunterlagen, sondern aus der Sitzungsvorlage 404/2014 ( Planungsausschuss vom 26.03.2014), der sich damals mit einem Antrag der FDP befasste, der schon einen zweiten Anlauf nahm, nachdem der erste keinen Erfolg hatte: Die FDP-Regionalfraktion hatte schon im Jahr 2005 den Aufbau eines Flächen-Monitoringsystems zur Unterstützung des Regionalplanung beantragt. Die Mehrheit in der Regionalversammlung folgte allerdings seinerzeit der ablehnenden Auffassung der Regionalverwaltung; steht dort zu lesen.
Das ist 12 Jahre her. Wenig ist seitdem hierzu passiert. Das ist aber ganz normal für Regionen, denen es gut geht. Man ist satt und zufrieden. Aber eben nicht auf ewig: Der Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson hat in seinem Buch „Aufstieg und Niedergang der Nationen“ schon 1985 darauf hingewiesen, dass Unternehmen, Institutionen, Organisationen und Geschäftspraktiken in einer Region meist sehr träge sind. Der Regelfall nach Olson lautet: Neue Technologien und Wirtschaftsstrukturen entwickeln sich in Regionen, die vorher weniger Bedeutung besaßen. Mit wirtschaftlichen und technologischen Wechseln sind in der Regel auch geographische Verlagerungen und auf- und absteigende Regionen verbunden. Sprich, wenn die Firmen anfangen, aus der Region Stuttgart wegzuziehen (was sich gerade abzeichnet), weil ihnen fehlende Flächen, zeitfressende schlechte Infrastruktur und Arbeitskräftemangel den Spaß am erfolgreichen Wirtschaften verderben, dann ist das ein Alarmzeichen.
Arbeitskräftemangel lässt sich durch Zuzug beheben. Aber hat dann seinerseits Folgen, die zuweilen mit Voodoo bekämpft werden: „Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten“ – heißt so ein Zauberspruch, der Straßen stoppen soll. Richtig ist, wer Menschen für die Region gewinnt, erntet Verkehr und muss Straßen bauen und den ÖPNV stärken.
Die Fakten und Vorschläge der schweizerischen Wissenschaft möchte ich um einen Blick zurück in die Geschichte ergänzen: Wir leben hier nämlich in einer ganz besonderen – und nach Olson seltenen – Region. Denn wir sind bisher eine „mitgehende“ Region, wie die Wissenschaft nur wenige kennt, aber es bedarf Energie und Ehrgeiz, dies aufrecht zu erhalten. Den Ehrgeiz haben unsere Vorfahren und wir bisher immer an den Tag gelegt: Dieser Region gelingt es seit über 170 Jahren, den Wechsel der die Industrialisierung tragenden Leitbranchen im zeitlichen Ablauf mit zu vollziehen: Aus der handwerklichen Feinmechanik und der textilen Heimarbeit entstand bei uns die Textilindustrie, später der Maschinenbau, aus dem sich die Automobilindustrie entwickelte. Offensichtlich gehört eine Kultur der Offenheit und Innovationsfähigkeit ganz zentral dazu, will eine Region einen die Branchenzyklen überdauernden Wohlstand sichern.
Also nutzen wir unsere Innovationsfähigkeit. Erkennen wir, dass ein Gewerbeflächenmanagement vermehrt als regionale Aufgabe begriffen werden muss. Prüfen wir, ob wir die passenden Instrumente haben, gar ob eine regionale Entwicklungsgesellschaft notwendig ist. Lernen wir von anderen, wie Aachen, Hannover oder sogar dem Ruhrgebiet, die nicht nur ein anerkanntes Flächenmonitoring entwickelt haben, sondern es auch schaffen, Premiumstandorte für Unternehmen anzubieten. Fahren wir eine Headquarter-Strategie wie München.
Lassen Sie uns insgesamt neue Wege beschreiten. Die FDP wird für den Haushalt beantragen, dass wir zusätzliche Mittel bereitstellen, ein regionalplanerisches Konzept zu entwickeln, das die Ausweisungsmöglichkeiten für Wohnbaugebiete mit der Ausweisung von Gewerbeflächen koppelt. Grob und pointiert gesprochen: Wenn verstärkt Kommunen Wohnbauflächen bekommen, die auch Gewerbeflächen ausweisen und zwar gerne auch in autobahnnahen interkommunalen Gewerbegebieten, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir schaffen neue Gewerbestandorte und neue Wohnungen. Und wenn die Menschen, die in den neuen Wohnungen leben, dann am Ort Arbeit finden, sparen wir uns auch eine ganze Menge Verkehr. Die Baunutzungsverordnung hat hier mit der Kategorie „Urbanes Gebiet“ (§6a) ganz neue Möglichkeiten geschaffen.
Mit solchen Ideen können wir den Wohlstand in der Region für die nächsten 100 Jahre sichern.
Lieber Herr Dr. Rogg, schwäbisch gilt: „Noi Detroit“ statt Neu-Detroit.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.