Autofahrer kennen die Autobahnausfahrt „Bad Ditzenbach“ an der A8, Erholungssuchende schätzen den Kurort mit der Vinzenz Therme und die Nachbargemeinde Deggingen als Gemeinden, die wunderschön in die Landschaft gebettet sind. Regionalpolitiker kennen die Causa „Bad Ditzenbach-Deggingen“ schon seit fünf Jahren. Seitdem streitet die Verwaltungsgemeinschaft nämlich um ihren neuen Flächennutzungsplan (FNP). Der Landkreis Göppingen hat ihn genehmigt, das Regierungspräsidium hat ihn genehmigt, nur die Region Stuttgart leistet weiter Widerstand. Was ist geschehen?

2007 wurde der neue FNP aufgestellt, weil die EU Vogelschutzgebiete am Fuße der Schwäbischen Alb verfügt hat und die Gemeinden im alten FNP ausgewiesene Wohnbauflächen deshalb nicht mehr entwickelt konnten. 8,3 Hektar sollten nun an andere Stellen der Gemarkung verschoben werden. Die Regionalverwaltung sieht dafür aber keinen Bedarf, weil die Gemeinden kaum noch an Bevölkerung zunehmen würden und genügend unbebaute Flächen hätten. Lediglich zwei Hektar neue Flächen wollte die Region ursprünglich akzeptieren. Am 5.12.2012 sollte in der Regionalversammlung die Klage gegen die Verwaltungsgemeinschaft beschlossen werden. 24 Stunden zuvor schwenkten Bad Ditzenbach und Deggingen auf eine Kompromisslinie ein und erklärten sich bereit, nur die Hälfte der ursprünglich angestrebten Wohnbauflächen zu überplanen. Die Region wiederum ließ sich auf diese Linie ein und so wird es jetzt wohl doch zu keinem Prozess kommen. Beide Seiten – Bad Ditzenbach und Deggingen sowie die Region – sind sich nämlich unsicher, wie ein Prozess ausgehen könnte und ziehen letztlich eine Kompromisslösung vor.

Interessant ist dieser Fall, weil er von grundsätzlicher Bedeutung ist. Es geht nicht um den Sonderfall der Verschiebung nicht entwicklungsfähiger Flächen eines alten FNP an andere Orte eines neuen. Die Regionalverwaltung hatte für den Klagefall (vor dem Einlenken der Gemeinden) schon eine aufschlussreiche Vorlage (79/2012, hier RV-07912.pdf) für die Regionalversammlung erarbeitet, die überdeutlich macht, dass die Region ins Grundsätzliche zielt. Auf Seite 2 wird das bisherige Vorgehen der Region bei der Übertragung von Flächenreserven beschrieben: „In jenen Fällen, in denen bereits ausgewiesene Flächen den zu erwartenden Bedarf übersteigen, wird deren Rücknahme nicht gefordert. Die flächengleiche Übernahme wird regionalplanerisch regelmäßig mitgetragen.“ Das Verb „mitgetragen“ ist natürlich verräterisch. Es offenbart, dass die Region den Vertrauensschutz für Kommunen aufgeben will. Eigentlich steht hier „zähneknirschend mitgetragen“. Die Region möchte in Wahrheit anderes. Sie spricht dies im weiteren Fortgang der Argumentation auch ganz offen aus: „Überkommene Planungsvorstellungen“ (Vorlage S.3) sollen geschleift werden und durch die Klage eine „grundsätzliche Klärung bezüglich der Frage der Übertragbarkeit von Flächenreserven bei der Fortschreibung eines Flächennutzungsplans“ (S.5) herbeigeführt werden. Damit definiert die Region ihr Ziel der ursprünglich angestrebten Klage: Der Vertrauensschutz soll aufgegeben werden. Maßgeblich wäre künftig eine reine Bedarfsbetrachtung aus der Perspektive der Region. Angestrebt wird, dass künftig in einem FNP nicht ausgeschöpfte Flächenreserven verfallen und nicht in den neuen Plan übertragen werden können.

Spielen wir einmal durch, wie sich Städte und Gemeinden in einem solchen Fall künftig verhalten würden, dann sehen wir welche Fehlanreize hier gesetzt werden: Künftig werden Kommunen dann ihre FNPe nicht mehr alle 15 Jahre überprüfen, sondern möglichst lange laufen lassen, um keine Flächenreserven zu verlieren. Bis 2007 stand die 15 Jahre-Regelung im BauGB §5 Abs 1 Satz 3, dann wurde dieser Satz gestrichen. Es lohnt sich, die Begründung für diese Novellierung von 2007 nachzulesen: Diese Streichung trug dem Umstand Rechnung, dass eine sachgerecht handelnde Gemeinde ohnehin regelmäßig überprüfen wird, ob der FNP noch ihren Entwicklungsabsichten entspricht. Sie wird ihn auch ohne ausdrückliche Zeitfrist bei Bedarf anpassen, lautete die Argumentation. Die Klageintension der Region läuft dem genau entgegen. Die Stadt Esslingen ist ein Beispiel für diese Strategie. Ihr FNP stammt aus dem Jahr 1984. Er ist jetzt nach 28 Jahren endlich in der Fortschreibung. Das würde dann die Regel in der Region werden.

Der zweite unerwünschte Effekt: Kann eine Gemeinde absehen, dass sie Flächen-reserven verlieren wird, wird sie zu dem Phänomen neigen, dass wir aus öffentlichen Haushalten ohne Übertragbarkeit von Haushaltstiteln als „Dezemberfieber“ kennen: In BauGB §1a Abs 2 Satz 1 steht: „Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden“. Das will auch die Region. Aber genau dies wird nicht passieren: Läuft der FNP ab, würden die Flächen „verbraten“, da ja der Verlust droht.

Kommunen, die eine zurückhaltende Flächenerschließung vorgenommen haben, würden hierfür nicht belohnt, sondern durch Verlust bestraft. Eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung können wir vergessen. Das kann nicht regionales Ziel sein. „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, formulierte der Philosoph Odo Marquard. Dieser Fall liegt hier vor. Die Region möchte mit Blick auf die demographische Entwicklung, den Landschaftsschutz und die Mobilitätserfordernisse der Bevölkerung den Flächenverbrauch in Gemeinden mit Eigenentwicklung radikal beschneiden. Sie hatte aber einen Weg im Auge, der an die Substanz der kommunalen Planungshoheit geht und Ergebnisse zeitigen würde, die ihren Zielen sogar deutlich zuwiderlaufen.

Die FDP-Regionalfraktion hat sich daher immer gegen eine Klage der Region gegen den FNP Bad Ditzenbach-Deggingen ausgesprochen und ist froh über den nun angestrebten Kompromiss. Die regionale Verlässlichkeit gegenüber den Gemeinden muss weiter gewährleistet werden.

 

Regionale Verlässlichkeit gewährleisten

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