??????????Am 30.9.2015 habe ich anlässlich der Entscheidung der Regionalversammlung zur Ausweisung von Vorranggebieten für Windkraftanlagen nachfolgende Rede gehalten:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die FDP Fraktion hat sich in der Debatte um die Windkraftstandorte für eine Position von „Maß und Mitte“ eingesetzt. „Maß und Mitte“ heißt für uns: Keine Windräder dort, wo nur ein laues Lüftchen weht, sondern Windräder an windstarken Standorten und dort möglichst konzentriert. In einer Abwägung sagen wir: 200 Meter hohe Windräder sind ein erheblicher Eingriff ins Landschaftsbild und müssen sich rechtfertigen lassen durch hohen Ertrag und damit hohe Wirtschaftlichkeit. Für uns war es auch immer wichtig, die Region Stuttgart im Konzert der anderen Regionen im Land zu sehen: Wenn viel größere und windstärkere Regionalverbände Vorranggebiete im 20er-Mengenbereich ausweisen, ist überhaupt nicht einzusehen, warum die besonders windschwache Region Stuttgart im 40er-, 50er-, 60er- oder gar 70er-Bereich rangieren soll. Das hat mit „Maß und Mitte“ nichts mehr zu tun. Zumal wir mit einer maßvolleren Ausweisung unseren Beitrag zu den 1200 Windrädern vollkommen leisten, die die Landesregierung haben möchte. „Es bleibt eine Unwucht. Oder positiv formuliert: Jedenfalls hat die Region deutlich mehr geliefert als der geforderte „substanzielle Beitrag“, wie die Landesregierung es gerne formuliert.“, so kommentierte die Stuttgarter Zeitung vorletzte Woche das Ergebnis der Planungsausschusssitzung und sie hat Recht.

Andere Regionalzeitungen haben genau gegenteilig kommentiert und aus dem Beschluss vom vorletzten Mittwoch einen Anschlag auf die Energiewende gemacht. Das ist einfach Unfug. Das Ziel der Energiewende, auf Atomstrom zu verzichten, bleibt, aber wir sollten in der Region Stuttgart doch bitte so effizient sein, das Ziel schwerpunktmäßig mit den Ressourcen anzustreben, die hier verstärkt zur Verfügung stehen: Die Sonne kann verträglicher und reichhaltiger liefern als der Wind. Und mit unserer Forschungsinfrastruktur werden wir in den nächsten Jahren nicht nur eine Revolution bei der Speichertechnik, sondern auch bei Eigenstromerzeugung in den Gebäudehüllen erleben: Wir sollten uns in den nächsten Jahren mehr mit Algenbioreaktorfassaden oder energieerzeugenden Fenstern beschäftigen als mit Windkraftanlagen.

Wir haben uns seit Beginn der Diskussion bemüht, eine Mehrheit für eine 1.000-Meter-Schutzzone für Menschen rund um die Windkraftanlagen zu finden. Wie sie unserem heutigen Antrag in der Anlage entnehmen können, ist das im benachbarten Hessen bei einer Landesregierung mit grüner Beteiligung Standard. Die Landesregierung hier und leider auch die Mehrheit in der Regionalversammlung schlagen aber alle Warnungen in den Wind, dass ohne eine solche Regelung rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Verwaltung Tür und Tor geöffnet ist. Wir haben überlegt, ob wir den Antrag heute nochmal stellen. Wir haben uns entschlossen, das nicht zu tun. Wir haben uns entschieden bei elf Gebieten noch eine Streichung anzustreben. Denn wir sagen auch: Wir sind nicht dazu da, die Fehler dieser Landesregierung auszubügeln, die nicht auf die Menschen hört. Wer nicht hören will, muss fühlen, sagt der Volksmund. Diese Landesregierung wird den Widerstand aus allen Gebieten in der Region zu spüren bekommen. Die optimalen Grundlagen für Klagen gegen die Windkraft hat diese Landesregierung selbst gelegt. Es genügt eben nicht, einfach in ein Landesplanungsgesetz die Pflicht reinzuschreiben, dass Vorranggebiete ausgewiesen werden müssen. Es gehört auch dazu „Bei der Standortwahl für Windkraftanlagen … insbesondere Rücksicht auf benachbarte Siedlungen (an erster Stelle genannt!), den Luftverkehr, das Landschaftsbild und ökologische Belange zu nehmen“, wie es im noch immer gültigen Landesentwicklungsplan formuliert ist, der noch unter einem FDP-Wirtschaftsminister 2002 erarbeitet wurde.

Meine Damen und Herren, die Energiewende ist eine 2011 ad hoc beschlossene  – gute – Idee nach Fukushima. Nach der Geburt von Ideen kommt als nächster Schritt normalerweise die Konfrontation der Idee mit den Realitäten. Wenn diese zweite Phase nach der Ideengeburt verleugnet wird, entwickeln sich die Idee zur Ideologie. Wer in der Region Stuttgart mangelnden Wind, dichte Besiedlung  und den Landschafts- und Naturschutz einfach verleugnet und an der Maximalkulisse an Windrädern festhält, ist so ein Ideologe.

Der Gegencheck der Ideen an der Realität fällt vielen schwer. Warum? Die Antwort gibt der Philosoph Hans Blumenberg mit seiner Formulierung „Wer investiert hat, glaubt länger“ (zit. in Die Zeit v. 23.7.2015). Die Landesregierung, die Grünen, die SPD und die Linken haben politisches Kapital investiert und glauben länger. Großinvestoren und Bürgergenossenschaften investieren Finanzkapital und glauben länger. Die Verwaltung hat eine unglaubliche Menge an Zeit und Humankapital investiert und glaubt länger. Meine Damen und Herren: Der Kirchentag ist aber vorbei.

Es heißt jetzt, den Realitäten der Region Stuttgart ins Auge sehen und das heißt: Maßvoller Ausbau der Windkraft. Insbesondere im Schurwald beim Standort ES-03 und generell im Rems-Murr-Kreis und teilweise auch im Landkreis Göppingen ist das Maß noch nicht getroffen. Es ist logisch, dass dort mehr Standorte ausgewiesen werden als im Westen der Region, der noch im Windschatten des Schwarzwaldes liegt. Unsere Beschlussempfehlung vom letzten Mittwoch bedeutet aber eine Überbelastung vor allem des Rems-Murr-Kreises. Hier schlägt ja selbst die Verwaltung Streichungen und Reduzierungen vor, die wir als Minimum selbstverständlich mittragen. Dass WN-25 (Buocher Höhe) noch auf der Liste ist, ist der Hammer. Hier geht es nur um „länger glauben“ und sonst gar nichts. Landschaftsschutz, Naturschutz, Siedlungsnähe, Erholungswert, Flächengröße und Flugsicherung – alles spricht gegen diesen Standort.

Wir werben dafür, bei den von uns zur Streichung vorgeschlagenen Gebieten nochmals in sich zu gehen. Es sind alles Standorte, bei denen es am vorletzten Mittwoch eine knappe Entscheidung gegeben hat. Wir werben für einen maßvollen und effektiven Ausbau der Windkraft. Bitte unterstützen Sie dieses Anliegen. “Die Wahrheit ist, dass wir auf allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben.” Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Sigmar Gabriel (am 17.4.2014 in Kassel geäußert). Vielleicht nehmen sich das auch die Kollegen von den Sozialdemokraten zu Herzen; Genauso wie die Tatsache, dass ihr Landtagsabgeordneter Wolfgang Drexler bei der Unterschriftensammlung gegen den Standort ES-03 laut „Pro-Schurwald“ mit unterschrieben hat. Diese Info darf natürlich auch die Freien Wähler beeindrucken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

„Wer investiert hat, glaubt länger“ – Zur Windkraftentscheidung der Regionalversammlung

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