Eröffnung der Anhörung der FDP-Regionalfraktion zum Thema „Region Stuttgart – wahren, wachsen, weichen? Welcher Weg hat Zukunft?“ am 11.10.2012:

Sehr geehrte Damen und Herren,

die FDP Regionalfraktion heißt Sie herzlich willkommen zu ihrer diesjährigen Anhörung „Region Stuttgart – wahren, wachsen, weichen? Welcher Weg hat Zukunft?“ im Alten Rathaus in Esslingen. Letztes Jahr haben wir unsere Anhörungs-Reihe mit einem Tag zum Thema Wirtschaft in der Region („Produktion Quo Vadis?“ im Böblinger Landratsamt) gestartet. Dieses Jahr geht es um den Bereich der Planung.

„Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte“ (Hans-Georg Gadamer) fasst Stil und Ansatz unserer Anhörungs-Reihe gut zusammen. Wir möchten durch kompetente Referenten Erkenntnisse gewinnen, um den richtigen Weg ringen und unsere Gäste am Meinungsbildungsprozess der FDP-Regionalfraktion beteiligen.

Ich nenne Ihnen geschwind die Initialerlebnisse, die zur heutigen Anhörung geführt haben: 1. Im Dezember letzten Jahres berichtete die Presse über eine neue Studie des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung in Dresden über Wohnraumbedarf in Baden-Württemberg, der deutlich höher ausfiel als er bisher vom Statistischen Landesamt bis 2030 angesetzt wurde. Bekanntlich ist die Region 2009 bei der Verabschiedung des Regionalplans sogar noch unter den Werten des Statistischen Landesamtes geblieben, indem man sich auf Prognosen des Prestel-Instituts gestützt hat. Wir fanden: Das muss näher unter die Lupe genommen werden. 2. Im Juni war ich zu einer Veranstaltung der FDP München zur Regionalentwicklung in der bayerischen Landeshauptstadt und habe etwas überrascht die Münchner Perspektive auf die Bevölkerungsentwicklung kennen gelernt: Die Region München plant bis 2030 mit einer Bevölkerungszunahme von 250.000 bis 300.000 Menschen, liegt also um ein Vielfaches höher als die Region Stuttgart. Der Regionalplan bei uns geht davon aus, dass bis 2020 mit einem Zuwachs von 36.000 Personen zu rechnen ist. Zuwächse von über 30.000 Personen nimmt die Planungsregion München hingegen in einem einzigen Jahr. Wenn die zwei wirtschaftsstarken und vergleichbaren Regionen Süddeutschlands so unterschiedliche Zukunftsprognosen entwerfen, können nicht beide Recht haben, war unsere Schlussfolgerung – Es lohnt sich also, im Rahmen unserer Anhörungsreihe dieser Sache nachzugehen.

Unser erster Eindruck war: In Stuttgart gibt es Bevölkerungsprognosen, auf die sich die Politik einstellt. In München hingehen macht die Politik die Prognosen. München definiert sich aktiv und langfristig als Wachstumsregion.

Bestätigt wurden wir in unserer Einschätzung, als uns die Stellungnahme des Planungsverbandes München zum Landesentwicklungsprogramm Bayern vom 24. Juli 2012 in die Hände fiel: Im LEP Bayern wird der Grundsatz „Flächen sparen“ festgeschrieben und daraus die Ziele „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ und Vermeidung von Zersiedelung“ abgeleitet. Das ist vollständig mit Grundsätzen und Zielen des Stuttgarter Regionalplans kompatibel und auch durch Bundesgesetz bindend. Die Stellungnahme des Planungsverbandes München setzt sich aber hiervon kritisch ab. Ich zitiere wörtlich: „Dieser Grundsatz und die beiden Ziele schießen, soweit es die Situation in der Region München betrifft, über das Ziel hinaus.“ … Es muss „vor allem in der Wachstumsregion München dem Wachstum von Bevölkerung und noch stärkerem Bedarf an Wohnungen und Gewerbeflächen durch ausreichende Ausweisung Rechnung getragen werden.“ In der Stellungnahme wird aktiv für Ausnahmen von der Innenentwicklung plädiert und neue Siedlungsflächen auf der grünen Wiese für möglich gehalten.

Für jemand, der sich auf die Stuttgarter Regionalplanung eingelassen hat, ist das eine Rede von einem fremden Stern.

Liegt eine Erklärung der Unterschiede vielleicht in der ungleichen Bevölkerungsverteilung? An sich sind beide Regionen mit 2,6 bzw. 2,7 Mio Einwohner ja gleich groß. München ist mit 4355 Einwohnern/km2 die am dichtesten besiedelte Großstadt Deutschlands, Stuttgart erscheint mit der Vergleichszahl 2925 geradezu dünn besiedelt. Vergleicht man die Bevölkerungsdichte der Regionen dreht sich das Bild: 474 in München, 735 bei uns. D.h. das Münchner Umland ist deutlich weniger dicht besiedelt als die Markungen um Stuttgart. Ist eine höhere Verdichtung des Umlandes in München daher eher möglich als bei uns? Hier spielt natürlich auch die größere Fläche der Region München im Vergleich zur Region Stuttgart eine Rolle (5504 zu 3654 km2).

„Wahren, wachsen, weichen?“ Wie stellen wir uns auf den demographischen Megatrend ein: kapitulieren wir, versuchen wir den status quo zu erhalten oder stemmen wir uns aktiv dagegen – Letzteres scheint die Münchener Taktik zu sein. So ist für uns zunächst der Eindruck von „München vs. Stuttgart“ entstanden.

Für uns steht die Frage im Raum, ob wir nicht Zuwanderungsregion sein müssen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein und zu überleben. Müssen wir nicht auch in den Wettbewerb der Regionen um die Bevölkerung eintreten? Deshalb sind die Fragen nach Bevölkerungsdichte, Flächenverbrauch, Bevölkerungsentwicklung, Zuwanderung und Wohnraumbedarf keine akademischen Fragen in der dünnen Luft der Raumplanung, sondern die entscheidenden Zukunftsfragen für uns.

Wenn wir heute Fehlsteuerungen vornehmen, zahlen wir unter Umständen in der Zukunft einen horrend hohen Preis. Dieser Preis ist ökologisch, wenn wir von zu hohen Bevölkerungsprognosen ausgehen und zu viel Fläche für Siedlung und Gewerbe verbrauchen, dieser Preis ist ökonomisch, wenn wir von zu niedrigen Werten ausgehen und durch die Regionalplanung die Wirtschaftsentwicklung behindern. Deshalb gilt es die Frage nach der Bevölkerungsentwicklung sehr gut auszuloten und ich bin sehr gespannt auf die heutigen Erkenntnisse.

 

Der zweite Block unserer heutigen Anhörung widmet sich dem Thema „Zentrale-Orte“ – Ein System, das einmal zur Erschließung des ländlichen Raumes entwickelt wurde, um auch dort die Bevölkerung in der Fläche mit Waren und Dienstleistungen zu versorgen. Dass dieses System in Ballungsräumen nicht so gut funktioniert, bekommt jeder bei Besuchen in der Region Stuttgart mit, auch wenn in unserem Regionalplan auf S.16 das Gegenteil steht (Das System sei „weitgehend bestätigt“). Die Ursprungsintension des Systems der Zentralen Orte, Güter zu den Menschen hin zu bringen, schlägt in der Wahrnehmung vor Ort häufig um zu einer Verbotsplanung beim Thema Ansiedlung von Möbelhäusern, Erweiterungen von Bestandsbetrieben in Kommunen usw. Die Polyzentralität der Region Stuttgart auf engem Raum reibt sich mit der Idee der Zentralen Orte, die ja einen großen Verflechtungsraum haben sollen. Da die Siedlungs- und Gewerbeflächenentwicklung sich vor allem am Infrastrukturangebot orientiert, die Zentralen Orte aber die Gemarkungsflächen berücksichtigen, ist oftmals eine raumplanerische Entscheidung vor Ort schwer nachvollziehbar.

An einigen Stellen der Region gibt es große Unzufriedenheit mit dem Zentrale Orte System. Ich verweise hier nur auf Leinfelden-Echterdingen, Wendlingen, Weinstadt oder Remseck. Im Einzelfall sind die Argumente, warum eine Einstufung im System nicht angemessen ist, durchaus nachvollziehbar. Doch unser Eindruck ist, um einen Domino-Effekt zu vermeiden, möchte man das System nicht verändern. Für uns ist dies ein Hinweis, sich mit dem System der Zentralen Orte kritisch auseinander zu setzen.

Die Kategorisierungen des Zentrale-Orte-Systems werden im Wesentlichen in den Landesentwicklungsplänen vorgenommen. Der letzte wurde in Baden-Württemberg 2002 verabschiedet. Ein Update wird ca. alle 15 Jahre vorgenommen. Wenn man von einem fünfjährigen Vorlauf zur Erarbeitung ausgeht, ist es also genau jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, ob an unserer Kategorisierung aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht etwas geändert werden muss. Wir sind gespannt auf Herrn Helbig vom Büro für Stadt- und Regionalentwicklung Dr. Acocella, der uns Ballungsregionen im Vergleich vorstellen wird. Zuvor freue ich mich auf den Vortrag von Dr. Gotthard Meinel und Daniel Eichhorn vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden zur Bevölkerungsentwicklung und zum Wohnraumbedarf in der Region Stuttgart. Auf die anschließenden Statements der Regionaldirektoren Thomas Kiwitt (Stuttgart) und Christian Breu (München) bin ich sehr gespannt.

 

München vs. Stuttgart

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